Page 23 - Bildungslandschaften mit talentCAMPus entwickeln
P. 23

Die Teilnehmer*innen sind dann oft von sich selbst fasziniert und wachsen jedes Mal über sich selbst hinaus. Sie erfahren bei uns, dass sie genau so, wie sie sind, genau richtig sind und dass ihre Ideen gut und wichtig sind.
Wir haben die vielen entstandenen Texte, Gedanken und Spiel-
szenen im nächsten Schritt in Improvisationen mit Zitaten aus „Alice im Wunderland“ verknüpft, die mit Anderssein, in einer an- deren Welt leben wollen, den eigenen Weg finden zu tun haben. Und wir haben geschaut, welche Rolle zu wem passt. Von Tag zu Tag haben wir dann gemeinsam überlegt: Was ist entstan- den? Was wollen wir weiterverwenden? Was ist der rote Faden unserer Geschichte – wo führt sie hin? Die Jugendlichen ent- wickelten selbst den Gedanken, dass Menschen, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen, oder es nicht schaffen, die vielen Ansprüche zu bewältigen, möglicherweise sehr dar- unter leiden und eine Therapie brauchen oder in der Psychiatrie
landen können ...
●  Was erwartete die Zuschauer*innen dann bei der Aufführung?
Das Stück startet als bunte, lustige Geschichte, in der das Mädchen Alice verschiedenen merkwürdigen Personen be- gegnet, es wird getanzt und gelacht. Doch am Ende, als Alice das Wunderland verlässt, um ihre Freunde zu retten, geht plötzlich ein helles Licht an, die Königin legt ihr Kostüm ab und wird zur Oberschwester, und dem Publikum wird schlagartig klar, dass es sich in einer Psychiatrie befindet. Alice‘ Freunde sind Patient*innen, die Medikamente bekommen, und die Zu- schauer*innen sitzen mittendrin – ein kleiner Schockmoment, der zum Nachdenken anregte. Es gab großen Applaus. Für die
Teilnehmer*innen bedeutet die Aufführung am Ende unserer gemeinsamen Zeit stets noch einmal einen enormen Schub für ihr Selbstbewusstsein.
●  Dies war bereits Ihr achtes talentCAMPus-Projekt, das Sie als Dozentin in Neuss umgesetzt haben – was mögen Sie per- sönlich daran?
Wir Dozentinnen – außer mir noch die Theaterpädagogin Franziska Leminski und die Choreografin Stefanie Lenz – freuen uns immer sehr auf den talentCAMPus, weil es ein sehr besonderer Rahmen ist, in dem wir total gerne arbeiten. Sich zwei Wochen am Stück nur mit einer Gruppe und einem Stück zu befassen und kreativ zu sein, macht unheimlich viel Spaß, und das erleben wir so nur in den Ferien. Ansonsten geben wir bei anderen Einrichtungen eher fortlaufende Kurse. In den talentCAMPus-Projekten haben wir in der inhaltlichen und kreativen Gestaltung freie Hand. Frau Hebben von der vhs Neuss kümmert sich sehr engagiert um die ganze Organi- sation und Kommunikation, und während der talentCAMPus- Wochen steht sie uns immer zur Seite. Das ist eine tolle Zu- sammenarbeit.
Es ist auch schön, dass viele der Kinder und Jugendlichen im- mer wieder kommen, wir kennen sie schon und sie kennen sich untereinander. Sie treffen sich jedes Jahr beim talentCAMPus, haben sonst privat eigentlich nichts miteinander zu tun. Sie kommen zum Teil aus sehr unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen. Aber diese zwei Wochen in den Sommerferien sind ihre gemeinsame Zeit, sie lieben die Theaterarbeit, gehen ganz darin auf und entwickeln sich von Jahr zu Jahr weiter. Gleichzeitig werden die neu hinzukom- menden Kinder schnell integriert, bei Schwierigkeiten helfen sie einander und sie wachsen im Projekt als Gruppe sehr zu- sammen. Die Kinder lieben es, und wir Dozentinnen auch.
Bild links unten: Ein Teil des Ensembles von „Wo ist Alice?“, vhs Neuss, © Esajas Bruce
Bild links oben: Tatjana Becker, © Esajas Bruce
Bild rechts unten: Theaterpädagoginnen Franziska Leminski (l.) und Tatjana Becker (mi.) mit Choreografin Stefanie Lenz (r.),
© Esajas Bruce
Bild rechts oben: Während der Proben, © Esajas Bruce
2021 – Gespräch mit Tatjana Becker, Theaterpädagogin
  21


















































































   21   22   23   24   25