Page 22 - Bildungslandschaften mit talentCAMPus entwickeln
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2021 – Gespräch mit Tatjana Becker, Theaterpädagogin
„Wir sind alle verrückt“
Gespräch mit Tatjana Becker, Theaterpädagogin und talentCAMPus-Dozentin
Das Anderssein und die persönlichen Ticks der Teilnehmer*innen standen im Mittelpunkt des talentCAMPus-Theaterprojekts „Wo ist Alice?“ der vhs Neuss und ihrer Bündnispartner in den Sommerferien 2021. Die freiberufliche Theaterpädagogin Tatjana Becker und ihre Kolleginnen  entwickelten in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen ein Stück zwischen Wunderland und Psychiatrie.
 ●  In „Wo ist Alice?“ geht es um Macken, Verrücktheiten und  psychische Erkrankungen. Warum haben Sie diese Themen gewählt?
Nach über einem Jahr Corona-Pandemie hatten ja viele Men- schen – auch viele Kinder und Jugendliche – mit psychischen Problemen zu kämpfen. Daher lag uns das Thema am Herzen. Aber auch abseits von ernsten Problemen sagen unsere jugend- lichen Teilnehmenden häufiger, dass sie selbst ein bisschen
„seltsam“ oder „anders“ sind. Wir wollten in dem Stück gern ernste und lustige Elemente mischen. „Wir sind hier alle verrückt. Ich bin verrückt“ – diese Sätze aus Lewis Carrolls‘ „Alice im Wunderland“ hatte ich von Anfang an im Sinn. Denn jede und jeder hat so seine Macken und ist besonders.
Wie kann ich meine Ticks und Besonderheiten lieben, mich akzeptieren, wie ich bin? Bin ich verrückt oder ist es die Welt? Diese Fragen haben uns im Projekt beschäftigt – und den Rahmen gab die Geschichte von Alice. Partizipation und Em- powerment spielen für uns in der Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen immer eine wichtige Rolle, so auch bei die- sem Thema.
●  Wie funktioniert der partizipative Prozess der Stückentwick- lung im Projekt? Wie fließen die Ideen und Geschichten der Kinder und Jugendlichen ein?
Wir arbeiten immer Schritt für Schritt. Wir starten mit einer Kennenlernphase, denn zu Beginn sind die Jugendlichen oft noch schüchtern. Das gegenseitige Vorstellen, Vertrauens- übungen und Spiele schaffen die Basis, damit die Teilneh- mer*innen sich trauen, etwas von sich preiszugeben. Hier ist es auch völlig egal, woher die Kinder kommen, denn es geht um das gemeinsame Projekt, nicht um die Herkunft, nicht um das Aussehen, nicht um Klamotten. Bei sprachlichen Defiziten unterstützen sich die Jugendlichen gerade in Kleingruppen sehr, keine*r bleibt außen vor. Es braucht diesen geschützten Rahmen, damit eigene Ideen, Vorstellungen und persönliche Erlebnisse geteilt und Talente entdeckt werden können.
Beim Alice-Stück haben wir mit biografischen Ansätzen gear- beitet – zum Beispiel mit den Fragen: Was ist dein Tick? Was macht dich anders? Die Kinder und Jugendlichen haben Liebes- erklärungen an ihren Tick geschrieben und Gedichte an sich selbst darüber, was sie besonders macht. Alles, was die Teil- nehmer*innen bereit sind zu geben, nutzen wir auch.
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